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Transgender

Der zunehmende Gebrauch der Bezeichnungen trans und transgender zeigt eine Abkehr von dem in Rechtsprechung und Gesetzgebung bisher vorherrschenden, auf körperliche Eindeutigkeit fokussierten Konzept der Transsexualität, dessen pathologisierender Kontext von der Medizin und Sexualforschung der 1970er-Jahre geprägt wurde. In Abgrenzung dazu wird seit den 2010er-Jahren die Bezeichnung transgeschlechtlich bevorzugt; auch gebräuchlich ist transident. Diese Bezeichnungen dienen als Oberbegriff der Selbst- oder Fremdbeschreibung sowie der Positionsbestimmung für Trans-Personen mit weiblicher Geschlechtsidentität (Transfrau) oder männlicher (Transmann) sowie alle Identitäten dazwischen oder ganz außerhalb der binären Geschlechterordnung.

Zunehmend erfährt transgender eine Bedeutungserweiterung, wonach auch Identitätskonzepte außerhalb der Norm der Zweigeschlechtlichkeit in das Bedeutungsspektrum eingeschlossen werden (siehe nichtbinäre, genderqueere Geschlechtsidentitäten: genderfluid, bigender, pangender, gender-neutral und weitere). Der Grad, zu dem Personen sich mit ihrer äußerlichen Erscheinung wohlfühlen und ihre authentische Identität annehmen, wird auch als Transgender-Kongruenz bezeichnet (englisch transgender congruence). Manche Trans-Personen erleben Geschlechts- oder Gender-Dysphorie; einige von ihnen streben deshalb medizinische Maßnahmen an, etwa Hormontherapie und geschlechtsangleichende Operationen.

Transgeschlechtlichkeit ist unabhängig von sexueller Orientierung Personen, die transgender sind, können etwa heterosexuell, homosexuell, bisexuell oder asexuell sein oder eine nähere Bezeichnung ihrer Sexualität ablehnen. Das Gegenteil von transgender ist cisgender (lateinisch cis „diesseits“) für Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei Geburt offiziell zugewiesen wurde.

Grundlagen

Der Ausdruck transgender war ursprünglich eine Bezeichnung für Menschen, die sich mit ihrem ursprünglichen biologischen Geschlecht nur teilweise oder gar nicht identifizieren und ihr biologisches Geschlecht als nicht übereinstimmend oder falsch empfinden.

Transmänner (auch Trans-Männer) sind Personen, denen bei ihrer Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich jedoch als Mann identifizieren; Transfrauen (auch Trans-Frauen) sind Personen, die sich trotz der anfänglichen Zuweisung des männlichen Geschlechts als Frau identifizieren. Während sich viele Transmenschen[7][8] oder Transpersonen[9] eindeutig mit einem einzelnen Geschlecht identifizieren, lehnen andere jede eindeutige Form einer Geschlechtszuweisung oder -kategorisierung für sich ab (vergleiche NichtbinaritätPostgenderX-gender). Alle Schreibweisen finden sich auch mit Trans-Sternchen: Trans*Männer, Trans*Frauen, Trans*Personen.[10]

Als Gegenteil zu transgender wurde ab den 1990er-Jahren die Bezeichnung cisgender (lateinisch cis „diesseits“, und englisch gender „soziales Geschlecht“) in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht, später verkürzt zu cis (Cis-Mann, Cis-Frau, Cis-Personen). Die Bezeichnung entwickelte sich aus dem Ausdruck Zissexualität, der 1991 vom Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch geprägt wurde und Menschen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität mit ihrem angeborenen biologischen Geschlecht übereinstimmt.[11][12][13]

Begriffsgeschichte

Transgender ist ein Anglizismus; er ist in die deutsche Sprache übernommen worden. Er wird in Deutschland überwiegend als Oberbegriff verwendet. Menschen, die sich nicht auf eine der zweigeschlechtlichen, binären Kategorien festlegen wollen, bezeichnen sich als transgender. Der Psychiater John F. Oliven (Columbia University) gilt als der Erste, der diesen Begriff fachsprachlich verwendete (in seinem 1965 erschienenen Buch Sexual Hygiene and Pathology: A Manual for the Physician and the Professions).[14] Die US-amerikanische Fernsehzeitschrift TV Guide verwendete 1970 erstmals den Begriff transgendered.[15] Das Verständnis dieses Begriffs wurde in den 1970er-Jahren in den USA von Virginia Prince maßgeblich geprägt; sie gründete 1960 die Zeitschrift Transvestia und gab sie bis 1980 heraus.

Sie bezeichnete sich selbst in dieser Zeit als heterosexueller Transvestit, um sich von homosexuellen und transsexuellen Menschen abzugrenzen.[16] Transgender sollte Menschen beschreiben, die die soziale Geschlechterrolle vollständig wechseln, egal ob chirurgische Eingriffe und geschlechtsangleichende Maßnahmen vorgenommen wurden oder nicht.

Seit den 1980er-Jahren wurde transgender zunehmend als ein gender-politischer Oberbegriff gebraucht. Gleichzeitig und parallel mit der Ablösung der Bezeichnung Women’s Studies (Frauenforschung) durch Gender Studies (Geschlechterforschung) setzte sich in den USA die Bezeichnung transgenderist durch. Diese Gruppierung ist in Europa kaum bis gar nicht vertreten. In Europa hat ein breiterer öffentlicher Diskurs erst um 1995 begonnen.

Zwischen der Mitte der 1990er und den frühen 2000er Jahren waren die hauptsächlich unter transgender als Überbegriff benutzten Bezeichnungen für männlche Identitäten Frau-zu-Mann (FzM) und für weibliche Mann-zu-Frau (MzF). Diese Bezeichnungen wurden zwischenzeitlich abgelöst von Trans-Mann und Trans-Frau, seit der Anerkennung des Adjektivs trans auch durch trans Mann und trans Frau. Diese Verschiebung der Präferenz von Bezeichnungen, die das biologische Geschlecht betonten (transsexual, FtM) hin zu Bezeichnungen, die Geschlechtsidentität und -Ausdruck betonen (transgender, trans Personen), reflektiert einen Paradigmenwechsel im Selbstverständnis von transgender Personen und der wachsenden Akzeptanz von Personen, die sich gegen medizinische Maßnahmen als Teil der Transition entscheiden.

Behandlungsleitlinien und LGBT-Fachverbände verständigen sich darauf, dass die Wahl der Bezeichnung, Name und Pronomen allein der betreffenden Person überlassen und zu akzeptieren ist. Dabei merken viele an, dass transgender in der englischen Sprache als Adjektiv verwendet werden sollte und nicht ein Partizip aus einem vermeintlichen Verb gebildet werden soll (etwa Max is transgender, statt: Max is transgendered).[17] Der Online-Duden enthält transgender als undeklinierbares Adjektiv („transgender Personen“) sowie seit Mitte 2021 auch als eigenständiges Substantiv („Transgender, der oder die“) und trans als Adjektiv: „Kurzform für transgender“.[1][2]

Transgender gegenüber steht die Verwendung des englischen Adjektivs cisgender als Beschreibung für Personen, deren Geschlechtsempfinden mit dem übereinstimmt, was ihnen bei Geburt zugewiesen wurde (etwa Anna is cisgender, statt: Anna is cisgendered).

Verbreitung

Laut einer Studie des Williams Institute[18] vom Juni 2016 identifizierten sich 0,6 % der Erwachsenen in den USA als transgender.[19]

Die Häufigkeit in Deutschland lässt sich aus den Fallzahlen des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BmJV) ableiten. Die Geschäftsbelastung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit weist für den Zeitraum 1981 bis 2019 etwa 29.700 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG, Verfahren zur Namens- und Personenstandsänderung) aus. Die Fallzahlen sind seit Jahren steigend und lagen 2019 bei 2582 (2018: 2614, 2017: 2085, 2016: 1.868, 2015: 1648)[20][21]. Darin nicht eingerechnet sind Menschen, die sich zwar als transgender, transsexuell oder transident verstehen, sich aber nicht in eines der zwei verfügbaren Geschlechter nach dem TSG einordnen wollen und deshalb bis 22. April 2020 (BGH XII ZB 383/19, RN 53)[22] keinen Antrag nach diesem Gesetz stellen konnten. Eine Häufigkeit von 1:298 (0,336 % der Gesamtbevölkerung) ergibt sich, wenn man die jährlichen Fallzahlen ins Verhältnis zu den jährlichen Geburten setzt (2019 waren das 778.090[23]). Das Transsexuellengesetz steht seit 2011 auch Personen ohne den Wunsch nach medizinischen geschlechtsangleichenden Maßnahmen offen.

Im Frühjahr 2020 bejahten 2,1 % von 50.300 Studierenden in den USA die Frage: „Identifizierst du dich als transgender?“ (1.055 Personen); 97,9 % antworteten mit „nein“. Insgesamt 3,7 % oder 1.844 Studierende gaben an, nichtbinär zu sein; 57 % von ihnen hatten „transgender“ bejaht (Details). Auf die Frage: „Welches Geschlecht wurde dir bei Geburt zugewiesen?“, antworteten 68,4 % aller Befragten weiblich, 31,6 % männlich und 19 Personen (0,038 %) intergeschlechtlich. Die Online-Befragung wurde als jährliche Studie von den beiden US-amerikanischen studentischen Gesundheitsorganisationen American College Health Association (ACHC) und National College Health Assessment (NCHA) durchgeführt und hatte eine Rücklaufquote von 14 %.[24]

Rollenwechsel

Berichte über Personen oder Vorfälle, die einen Rollenwechsel beschreiben, lassen sich in nahezu allen Kulturen finden. Viele Kulturen kennen den rituellen Wechsel der Geschlechterrolle, der meist von einer zeitweiligen Dauer ist. Etliche Kulturen haben spezifische soziale Rollen für Menschen, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlen oder aus anderen Gründen die ihrem körperlichen Geschlecht entsprechende Rolle nicht einnehmen. Hierzu zählen unter anderem:

Es lässt sich nicht immer eine Aussage darüber treffen, ob ein Verhalten durch eine transgender Person oder lediglich durch eine Umgehung der Grenzen der jeweiligen Geschlechterrolle begründet war, zum Beispiel bei Frauen, die als Männer verkleidet Soldaten wurden. Außerdem existierten Bezeichnungen wie TransgenderTranssexualität oder Homosexualität noch gar nicht. Häufig sind die Vorfälle davon geprägt, dass sie im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen oder religiösen Verfolgung zustande kamen.

Ein Wechsel der zugewiesenen Geschlechterrolle kann pragmatische Gründe haben: Zum Beispiel haben Frauen sich in Kriegen als Männer verkleidet, weil sie Vergewaltigungen befürchteten. Männer haben sich als Frauen verkleidet, um einem Massaker zu entkommen oder um sich der Einberufung zum Kriegsdienst zu entziehen.

Reaktionen und Sanktionen

Video der Regierung von Wales zur Dar­stellung von Transgender-Hassverbrechen:
Let’s stand up to hate crime together.
(Gemeinsam gegen Hassverbrechen aufstehen.)
(9. März 2021; 1:30 Minuten; deutsche Untertitel)

Das Abweichen von den jeweilig vorgegebenen Geschlechterrollen wird üblicherweise sozial, häufig auch strafrechtlich oder religiös negativ sanktioniert. In einigen US-Counties gibt es noch Gesetze, die das öffentliche Crossdressing (Tragen von nicht zum angeborenen Geschlecht gehöriger Kleidung) unter Strafe stellen; allerdings werden diese mit zunehmender Liberalisierung immer seltener angewandt.[25] Es gibt mittlerweile in den meisten Ländern (NordeuropasWesteuropas und Westmitteleuropas sowie in Nordamerika) sowie in einigen anderen Ländern (etwa Japan oder Iran) Gesetze, die rechtliche Aspekte eines Geschlechtsrollenwechsels regeln.

Diskriminierungen

Viele transgender Personen sind beispielsweise am Arbeitsplatz und bei Arztbesuchen Diskriminierung ausgesetzt.[26][27] In vielen Ländern sind sie nicht gesetzlich vor Diskriminierung geschützt. In Deutschland sind sie „nach heute ganz überwiegender Ansicht“ durch den Grundgesetz-Artikel 3 (Absatz 3, Satz 1) geschützt, obwohl sexuelle Identität oder Geschlechtsidentität dort nicht explizit in der Liste der Diskriminierungsverbote erwähnt wird.[28]

Häufig besteht bei Personen mit einer transgender Identität auch ein Problem der angemessenen Gesundheitsversorgung, der medizinischen Fehlbehandlung und Unterversorgung.[29][30][31]

Gesellschaftliche und medizinische Diskriminierungen werden als Hauptgrund für die insgesamt schlechtere Gesundheit von transgender Personen angeführt; sie leiden häufiger als cisgender Personen an Sucht, Infektionen, psychischen Störungen sowie KrebsAngststörungenDepression und Suizidalität sind deutlich häufiger.[32] Anfang 2021 ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass sich „LGBTQI*-Menschen in Deutschland“ doppelt so oft einsam fühlen wie die restliche Bevölkerung, dreimal häufiger von Depressionen und Burnout-Syndromen betroffen sind und deutlich erhöhte Vorkommen von Herzkrankheiten, Asthma und chronischen Rückenschmerzen haben; 40 % der trans Personen leiden unter Angststörungen. Hingewiesen wird, dass die Forschung zum Wohlbefinden von LGBT-Personen noch in den Anfängen stecke; auch für die Politik bestehe dringender Handlungsbedarf, um Diskriminierung und Ausgrenzung zu verhindern. Von den 4511 Befragten gaben 133 an, ein „anderes Geschlecht“ zu haben (2,95 %).[33][34]

Geschlechterrollen in Medizin und RechT

In den heutigen westlichen Gesellschaften sind sowohl rituelle als auch aus Not geborene Wechsel der Geschlechterrolle sehr selten geworden. Demgegenüber zeigen trans Personen zumeist transgender Verhalten und Geschlechtsausdruck aufgrund einer empfundenen inneren Notwendigkeit. Denn eine von den üblichen Geschlechterrollen abweichende Geschlechtsrollenpräsentation basiert üblicherweise nicht oder nur bedingt auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern sie ist für einige transgender Personen eine innere Notwendigkeit, da sie die Präsentation in einer akzeptierten Geschlechterrolle (vergleiche Heteronormativität) sehr belastend oder sogar als unlebbar empfinden. Viele transgender Personen bemühen sich, oft jahre- oder jahrzehntelang, darum, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, schaffen dies aber nie so, dass sie sich selber in der erwarteten Rolle wohlfühlen. Viele schaffen es nicht einmal, andere Menschen von diesem Konflikt mit der ihrem inneren Empfinden nicht entsprechenden Geschlechtsrollenpräsentation zu überzeugen. Aus diesem Konflikt entstehen häufig psychische Probleme, psychische und psychosomatische Krankheiten, Suchtprobleme und Ähnliches. Wenn auch mit unterschiedlichen Folgen hinsichtlich der Kostenübernahme für chirurgische oder andere medizinische Maßnahmen, existiert nach ICD-10 die Diagnose F64.9 „Störung der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet“, die nicht für Transsexuelle im klassisch engeren Sinn, sondern im weiteren Sinn ebenso für transgender Personen angewendet werden kann.

Dieser Tatsache teilweise Rechnung trägt in Deutschland seit 1980 das Transsexuellengesetz, das zumindest die rechtlichen Notwendigkeiten eines Geschlechtsrollenwechsels von weiblich zu männlich oder umgekehrt regelt, da Transsexualität als medizinisch behandlungsbedürftiger Zustand angesehen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedoch seitdem in zahlreichen Entscheidungen mit dem TSG befasst und etliche Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt (siehe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum TSG). Viele transgender Personen kritisieren besonders, dass in dem Gesetz nur die medizinisch-gutachterliche Diagnose der Transsexualität berücksichtigt wird, sodass das individuell persönliche Empfinden jedoch oftmals unberücksichtigt bleibt.

Da in vielen Gesellschaften oder Ländern für transgender Personen, insbesondere für trans Frauen, die einzige Möglichkeit Geld zu verdienen die Prostitution ist, oder diese für trans Frauen als einzige gesellschaftliche Rolle zuerkannt wird, besteht auch heute noch bei manchen Menschen die assoziative Gleichsetzung von Transsexualität oder Transgender mit Prostitution. Auch werden nach wie vor in vielen Staaten die teils hohen Kosten für die geschlechtsangleichenden Operationen und andere geschlechtsangleichende Maßnahmen nicht oder nur unzureichend aus dem staatlichen Sozialsystem bezahlt, sodass in diesen Fällen die transgender Personen, die überdies oftmals ohne „normalem“ Arbeitseinkommen sind (siehe Diskriminierung in der Arbeitswelt) sich zur Erwirtschaftung dieser Kosten gezwungen sehen in der Sexindustrie zu arbeiten.

Ursachen

Die Ursache dafür, warum es Personen gibt, deren Geschlechtsidentität nicht oder nicht vollständig mit dem nach der Geburt anhand der äußeren Merkmale eingetragenen Geschlecht übereinstimmt, ist nicht bekannt. Zwar existiert eine Vielzahl von psychologischen Theorien, darunter auch einige, die körperliche Ursachen annehmen, jedoch konnte keine dieser Theorien bisher empirisch belegt werden. Zu jeder einzelnen bis dato postulierten Theorie lassen sich etliche Gegenbeispiele finden, sowohl unter Transgendern, auf die die postulierte Ursache nicht, als auch unter Cisgendern (Nicht-Transgendern), auf die sie zutrifft.

Laut dem deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007) bezeichnet „Gender“ diejenigen Geschlechterrollen, die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägt sind. Sie seien „– anders als das biologische Geschlecht – erlernt und damit auch veränderbar.“[35]

Transgender und Sexualität

Wie auch bei Menschen, deren biologisches Geschlecht (englisch sex) und rechtliches Geschlecht mit ihrer Geschlechtsidentität zusammenfällt (cisgender), so ist auch die Geschlechtsidentität von transgender Personen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihren sexuellen Praktiken. Demnach sind sämtliche sexuellen Variationen gleichermaßen bei transgender und bei cisgender Personen anzutreffen. So sind auch nicht alle transgender Menschen heterosexuell, sondern ein Teil von ihnen ist lesbischschwulbi- oder pansexuell veranlagt.

Die in der Gesellschaft immer noch anzutreffende Assoziation von Transgender (für Gender mit der Geschlechtsidentität) mit Homosexualität hat mehrere Ursachen. Zum einen entspringt dies dem aus dem Englischen eingedeutschten Bezeichnung Transsexualität (Transsexualismus), worin historisch vermeintlich die Sexualität und damit auch die sexuelle Orientierung hineininterpretiert wurde und wird, während der Wortteil sex-, aus den englischen Wörtern transexuality oder transsexualism stammend, sich auf das biologische Geschlecht bezieht. Zum anderen kann es daran liegen, dass bisweilen transgender Personen nicht (vollständig) ihrem gelebten Identitätsgeschlecht entsprechend wahrgenommen werden können, sodass ein solcher Mensch als „mit Frauenkleidung verkleideter Mann“ und damit als „Schwuler“ oder als „mit Männerkleidung verkleidete Frau“ und damit als „Lesbe“ wahrgenommen wird. Des Weiteren spielt auch der Umstand eine Rolle, dass lesbische oder schwule Kreise häufiger sowohl Raum als auch Vorbild für Menschen mit abweichender Geschlechtsrollenpräsentation boten.

Transgender und Schwangerschaft

Noch stammen die meisten Kinder in sogenannten Regenbogenfamilien entweder aus Vorbeziehungen oder sind Kinder lesbischer Mütter. Aber unabhängig vom biologischen Geschlecht und der sexuellen Orientierung, ist der Wunsch nach eigenen Kindern nicht davon abhängig und das Beratungsangebot für Familienkonstellationen aller Art nimmt aktuell zu.[36]

Als einer der ersten trans Männer in Deutschland berichtete Daniel Masch Mitte 2021 der Tageszeitung taz, wie er SchwangerschaftGeburt und Stillzeit seines mittlerweile sechsjährigen Sohnes erlebt hat. Er vertritt die Ansicht, es sollte mehr allgemeine Akzeptanz dafür geben, dass der Wunsch nach eigenen Kindern für Transgeschlechtliche genau so normal und gewöhnlich ist, wie für andere Menschen auch. Als die Frage aufkam, ob er Testosteron nehmen sollte, folgte er dem Rat seines Arztes, damit zu warten, bis der Kinderwunsch entschieden sei, um dem Kind nicht zu schaden. Mit seinem Partner, der auch Vater des gemeinsamen Sohnes ist, war er damals bereits zusammen. Seine eigene Transition schob Masch zu Gunsten des Kinderwunsches, den er und sein Partner hatten, auf. Masch, der als Trans-Berater arbeitet,[37][38] fühlte sich auch als schwangere Person nicht als Frau, und auch sein Sohn sieht ihn nicht als „Mutter“, nur weil er in seinem Bauch war.

Obwohl er seine Schwangerschaft zunächst als belastend erlebt hat (weil sein Körper gefühlt in die „falsche Richtung“ ging), gab er im Interview an, durch die Schwangerschaft ein besseres Verhältnis zu seinem Körper zu haben als vorher. Erst nachdem er seinen Sohn ein Jahr gestillt hatte, was er auch im Sinne des Kindes für angemessen hielt, begann er mit der Hormonbehandlung. Aus seiner Sicht wäre es schön, wenn Elternschaft insgesamt etwas offener gedacht werden würde, damit es nicht nur mit Kindern leichter fallen würde an andere Eltern Anschluss zu finden, sondern auch damit die Kinder einander mehr Toleranz entgegen bringen.[38]

Transgender versus Transsexualität

Wo einerseits „klassische“ Transsexuelle oft argumentieren, dass sie darunter leiden, transsexuell zu sein, und nur ein normales Leben führen möchten, während Transgender (manchmal wird hier stattdessen auch Transvestiten benutzt oder Transvestitismus impliziert, also ein nur zeitweiliger Rollenwechsel) zum Teil durch ihr Äußeres Aufsehen erregen wollen oder dadurch „Spaß haben“ möchten, verweisen einige Transgender andererseits darauf, dass a) nicht-transsexuelle Transgender genauso leiden können und genauso medizinische und juristische Maßnahmen benötigen können wie Transsexuelle und dass b) noch lange nicht alle nicht-transsexuellen Transgender Aufsehen erregen möchten oder „Spaß haben“ wollen, sondern es genauso nicht-transsexuelle Transgender gibt, die ebenfalls für sich persönlich kein großes Interesse daran haben, irgendwie aufzufallen in Hinsicht auf ihre Geschlechtszugehörigkeit.

Diese angenommene Unterscheidungsmöglichkeit wird zunächst durch die ICD-10-Definitionen von „Störungen der Geschlechtsidentität“ insoweit unterstützt, weil dieses unter F64.0 (Transsexualität, vollständiger Geschlechtsrollenwechsel innerhalb eines als binär verstandenen Systems, unter Inanspruchnahme „so weit wie möglicher“ medizinischer Maßnahmen) und F64.9 (nicht näher definierte Geschlechtsidentitätsstörung) eine ähnliche Unterscheidung trifft. Allerdings ignorieren die Argumentationen nach ICD-10 folgende Faktoren:

  • Das DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) verzichtet gänzlich auf den Begriff Transsexualismus und spricht (unter der Nummer 302.85 für Adoleszente und Erwachsene beziehungsweise 302.6 für Kinder) nur noch allgemein von Geschlechtsidentitätsstörungen, die in unterschiedlich schwerer Form auftreten würden und bei denen die Behandlung auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten abgestimmt sind und nicht nur eine Alles-oder-Nichts-Alternative bieten.
  • Und nicht zuletzt jene nicht unbeträchtliche Anzahl von Menschen, die zwar einen Geschlechtsrollenwechsel samt der für sie notwendigen medizinischen und juristischen Maßnahmen benötigen oder bereits vollzogen haben, die jedoch, sei es, weil sie ein binäres Geschlechterverständnis ablehnen oder gewisse medizinische Maßnahmen für sich nicht benötigen, nicht die strikte Definition von F64.0 erfüllen.

Andere Transsexuelle begrüßen die Bezeichnung Transgender, weil sie nicht den Wortbestandteil sexuell (von neulateinisch sexualis „geschlechtlich“) enthält. Denn dieser kann in der deutschen Sprache den Irrtum nahelegen, es handle sich um eine sexuelle Orientierung. Aus diesem Grund und dem Umstand, dass im Deutschen zwischen biologischem und Identitäts-Geschlecht allgemein nicht unterschieden wird – beides wird mit dem einzigen Wort Geschlecht benannt –, wird die Bezeichnung Transsexualität auch durch Transidentität ersetzt.

Entwicklungstheorien

Die folgenden psychologischen Theorien dienen dem Verständnis der Entwicklung der geschlechtlichen Identität.

Theorie der Geschlechterschemata (Bem 1981)[39] Die Theorie der Geschlechterschematat von Bem ähnelt von der Aufstellung der Entwicklungsstufen Kohlbergs Entwicklungstheorie. Bem schreibt den Kindern bereits in der ersten Phase der kognitiv-sexuellen Entwicklung (2-3. LJ) ein Verständnis von Geschlechterschemata zu. Diese Geschlechterschemata sind als mentale Repräsentationen über Geschlechter zu verstehen. Mittels dieser Geschlechterschemata entwickeln Kinder zunächst ein „Ingroup-Outgroup-Schema“, nach dem Personen klassifiziert werden, ob sie in das Schema passen oder nicht. Infolgedessen entwickeln sie ein eigengeschlechtliches Schema. Dieses Schema gibt den Kindern das Verhalten vor, welches als „geschlechtskonform“ gilt, was entgegen den eigenen Interessen gehen kann.

Sozial kognitive Theorie (Bussey & Bandura 1999)[40] Der sozial-kognitiven Theorie der Geschlechtsentwicklung zufolge gibt es drei Faktoren, die sich bei der Geschlechtsentwicklung gegenseitig beeinflussen. Hierzu zählen persönliche Faktoren, wie biologische, kognitive und affektive Aspekte. Des Weiteren die Verhaltensmuster, welche mit dem Geschlecht assoziiert sind und zuletzt Umwelteinflüsse, welche über die Lebensspanne veränderbar sind. Die Geschlechtsentwicklung beruht außerdem auf drei Lernprozesse. Zum einen das Lernen am Modell, bei dem Verhalten imitiert wird. Das Bekräftigungslernen, welches sich durch verstärkende Rückmeldungen auszeichnet. Und zuletzt durch angeleitetes Lernen. Diese verschiedenen Faktoren und Prozesse lassen das Kind Normen begreifen, es kommt zur Selbstsozialisierung und schließlich zur Selbstwirksamkeit des Kindes.

Theorie der sozialen Identität (Tajfel & Turner 1979)[41] Die Theorie der sozialen Identität beschreibt das eigene Geschlecht als Teil des Selbstkonzeptes. Hierbei gilt, dass Mitglieder der Eigengruppe als überlegener bewertet werden und dass Personen darauf sozialisiert werden, sich den gruppendefinierenden Merkmalen der Eigengruppe anzupassen. Verhalten, welches eher in einer Fremdgruppe zu beobachten wäre, senkt den sozialen Status, den die ausführende Person in Ihrer Eigengruppe hat. Deshalb sind Personen mehr darauf bedacht, Gruppengrenzen aufrechtzuerhalten und können dazu tendieren, stereotypische Verhaltensweisen und Ansichten an den Tag zu legen.

Geschlechtsspezifische Selbstsozialisationsmodell (David Perry)[42] Perry beschreibt ein integratives Modell aus den Geschlechterschemata und der sozialen Identität. Laut ihm streben Kinder nach kognitiver Konsistenz und gleichen ihr eigenes Verhalten mit dem ihres Gruppenstereotypes ab. Je stärker die Konsistenz ist, desto stärker ist die Geschlechtsidentität. Falls keine gute Konsistenz vorliegt kann das Kind entweder das Verhalten, oder die eigene Gruppenidentität verändern.

Intersexuelle

In einigen Definitionen werden pauschal alle intersexuellen Menschen, also Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht eindeutig ist, unter Transgender subsumiert. Andere Definitionen betrachten nur diejenigen Intersexuellen als Transgender, die ihre Geschlechtzuweisung in irgendeiner Form als problematisch empfinden.

Neutrois

Es gibt ein Spektrum von Personen, welche die Zuschreibung eines sozialen Geschlechts (Gender) oder einer Geschlechterrolle für sich selbst gänzlich ablehnen oder sich als „ungeschlechtlich“ oder „geschlechtslos“ definieren; hierfür finden sich verschiedene Bezeichnungen, vor allem agender, neutral, neuter oder neutrois.

Detransition

Bei der Detransition wird die ehemalige Identifikation mit einem anderen Geschlecht verworfen und sozial, körperlich bzw. rechtlich zum Geburtsgeschlecht zurückgekehrt. Künstliche Hormonvergaben können bei vorhandenen, ehemals geschlechtsangleichenden, Operationen notwendig werden.

Persönlichkeiten der Transgenderforschung

Magnus Hirschfeld war als der Gründer der weltweit ersten Einrichtung für Sexualforschung einer der maßgeblichen Pioniere in der Sexualforschung im 19. Jahrhundert. Mit seiner Veröffentlichung „Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des gleichen Geschlechts?“ (1896) beleuchtete er das Konzept streng binärer Geschlechter als einer der ersten kritisch und führte das „Modell der kognitiven Zwischenstufen“ ein.

Harry Benjamin unterschied als erster Wissenschaftler zwischen abweichender Geschlechtsidentität und Homosexualität und betrachtete als einer der ersten Transsexuelle Menschen nicht als psychisch krank. Des Weiteren war er einer der ersten Unterstützer der Hormontherapie, um das Leid transsexueller Personen zu lindern.

John Money wurde insbesondere durch den Fall des David Reimer bekannt. Praktizierte als Psychologe und Sexologe. Stellte unter anderem die These auf, dass Geschlechtsidentität nicht angeboren sei.

Hans Giese gründete die Gesellschaft für Sexualforschung im Jahr 1950, welche die älteste und größte deutsche Fachgesellschaft für Sexualwissenschaft ist.

Volkmar Sigusch war Sexualforscher, Arzt und Soziologe. Er war Mitgründer der „International Academy for Sex Research“ und beeinflusste die Formulierungen des Transsexuellengesetzes.

Auffassung im ICD

In den verschiedenen Ausgaben der „International-Classification of Diseases“ entwickelte sich der Begriff Transgeschlechtlichkeit. Im Jahr 1975 wurde jener Begriff „Transsexualität“ (302.5) unter den „sexuellen Verhaltensabweichungen und Störungen“ in den ICD-9 aufgefasst. Ab 1990 wurde die Diagnose zu „Störung der Geschlechtsidentität“ (F64) umbenannt und unter den „Persönlichkeits- & Verhaltensstörungen“ (F60–F69) kategorisiert. Mit dem Inkrafttreten des ICD-11 im Jahr 2022 wird die Diagnose als „Geschlechtsinkongruenz“ unter „Probleme/Zustände im Bereich der sexuellen Gesundheit“.

Quelle